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Kai Wegner will die „öffentliche Ordnung“ in Berlin wiederherstellen

Kai Wegner will die „öffentliche Ordnung“ in Berlin wiederherstellen

Der Krieg in Nahost hält Berlin weiter in Atem. Am Wochenende zogen zunächst mehrere Hundert Menschen durch Berlin und protestierten gegen den vermeintlichen Völkermord Israels an Palästinensern. Der Zug wurde in Charlottenburg gestoppt, es gab Festnahmen wegen Beleidigung, Zeigen verbotener Symbole, Rufen verbotener Parolen und Widerstand gegen Einsatzkräfte. Beobachter berichteten, dass schwarz-weiße Schahada-Fahnen geschwenkt und antisemitische Parolen wie „Tod den Juden“ oder „Tod der IDF“ skandiert wurden. Die IDF sind die Israel Defense Forces, die israelische Armee.

Eine andere Demonstration wurde erst von der Berliner Versammlungsbehörde verboten, das Verbot vom Verwaltungsgericht bestätigt und später dann vom Oberverwaltungsgericht doch kassiert. Die Demo unweit der ägyptischen Botschaft in Tiergarten fand statt, 1500 Teilnehmer waren dabei. Auf Schildern standen neben „Rettet Gaza“ auch Forderungen wie „Gerechtigkeit durch das Kalifat im Nahen Osten“. Beobachter berichten davon, dass eine von der Versammlungsbehörde eilends nachgeschobene Auflage, wonach es auf der Demo keine Geschlechtertrennung geben dürfte, offenkundig missachtet wurde. Frauen und Männer demonstrierten fein säuberlich getrennt.

Grusel-Demo in Berlin-Tiergarten feiert das Kalifat

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel reagierte ungewöhnlich angefasst auf die Niederlage vor Gericht. „In den siebeneinhalb Jahren im Amt als Polizeipräsidentin hat mich noch nie eine gerichtliche Entscheidung so geschmerzt", sagte sie.

Auch für Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) war es nach eigenen Worten „unverständlich“, dass das Oberverwaltungsgericht das Verbot kassierte. „Ein Kalifat – und die damit verbundene Ideologie – ist mit unserem Rechtsstaat unvereinbar und hat in Deutschland nichts verloren“, so der CDU-Politiker. Um solche Aufzüge künftig verbieten zu können, will Wegner den etwas altmodisch klingenden Begriff der „öffentlichen Ordnung“ wieder in das geltende Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz aufnehmen.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Versammlungsbehörde alles unternommen hat, um diesen Aufmarsch zu untersagen. Das Verwaltungsgericht hat dieses Verbot bestätigt. Umso unverständlicher ist es, dass das Oberverwaltungsgericht diese Entscheidung wieder aufgehoben hat. 1/4 https://t.co/K7YsUwwweq

— Kai Wegner (@kaiwegner) July 7, 2025

Dabei verweist der Regierungschef auf die Richtlinien der Regierungspolitik, auf die sich die schwarz-rote Koalition geeinigt hat. Die von der SPD geführte Innenbehörde solle geeignete Änderungen prüfen, so Wegner, „um Aufmärsche dieser Art künftig wirksam zu verhindern“. Sein Favorit ist klar: die „öffentliche Ordnung“.

Das war übrigens auch schon kurz nach Beginn seiner Amtszeit im Frühjahr 2023 so. Damals schrieb sich Schwarz-Rot ins Stammbuch: „Der Senat evaluiert das Versammlungsfreiheitsgesetz bis Mitte 2024 und nimmt den Begriff ‚öffentliche Ordnung‘ wieder auf.“

Die „öffentliche Ordnung“ Berlins: Das Gesetz ist seit einem Jahr überfällig

Das ist lange her. Zuletzt beanspruchte die Arbeit am Allgemeinen Ordnungsgesetz (Asog), dem sogenannten Polizeigesetz, scheinbar alle Energie der Senatsinnenverwaltung und der Innenpolitiker der Koalition. Die Novelle geriet mehr als 700 Seiten dick und liegt jetzt im Landesparlament zu Abstimmung und Verabschiedung. Die Zustimmung gilt als sicher.

CDU und SPD sprechen von einem Meilenstein für die Polizeiarbeit, eröffnet es doch mehr Möglichkeiten der Video- und Handyüberwachung. Der Opposition ging das wahlweise zu weit (Grüne und Linke) oder nicht weit genug (AfD). Das Versammlungsfreiheitsgesetz, geändert noch vom rot-grün-roten Vorgänger-Senat, wurde jedoch noch gar nicht angefasst. Das Asog hatte Priorität.

Doch jetzt rückt die „öffentliche Ordnung“ in den Fokus. Der Begriff bezeichnet sogenannte ungeschriebene Regeln. Diese sind soziale und ethische Normen, die nicht gesetzlich festgelegt sind, aber dennoch das Verhalten in der Gesellschaft maßgeblich beeinflussen.

„Wir sprechen darüber“, sagt der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger im Gespräch mit der Berliner Zeitung. So sei es für ihn beispielsweise „unerträglich“, wie Dregger sagt, wenn etwa zum Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Berlin russische Autokorsos stattfänden. Wenn zum Todestag des Berliner Ehrenmord-Opfers Hatun Sürücü islamistische Umtriebe zu verzeichnen seien. Oder wenn zum Jahrestag des gescheiterten Stauffenberg-Attentats auf Hitler Nazis marschierten. Dies alles verstoße eindeutig gegen die „öffentlichen Ordnung“, sei jedoch wie die Kalifats-Demo vom Wochenende nur schwer juristisch wasserdicht zu verbieten, so Dregger.

Berlins bekanntestes Ehrenmordopfer: Hatun Sürücü wurde vor 20 Jahren in Berlin-Tempelhof von Familienmitgliedern ermordet.
Berlins bekanntestes Ehrenmordopfer: Hatun Sürücü wurde vor 20 Jahren in Berlin-Tempelhof von Familienmitgliedern ermordet.wdr

Bis zum Februar 2021 stand die „öffentliche Ordnung“ im Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz, ehe Rot-Grün-Rot den Begriff tilgte. In der aktuellen Version ist stattdessen davon die Rede, dass eine erwartbare Störung des „öffentlichen Friedens“ Versammlungsverbote ermögliche. Das gilt etwa, wenn zu Hass und Gewalt gegen eine „durch rassistische Zuschreibung beschriebene, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ aufgestachelt werde. Oder wenn die Gefahr bestehe, dass die Nazi-Herrschaft „gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt, geleugnet oder verharmlost wird“.

Zwei Jahre nach Rot-Grün-Rot: Jetzt will auch die SPD die alte „öffentliche Ordnung“ zurück

Die Änderung des Versammlungsfreiheitsgesetzes in der vorherigen Legislaturperiode fiel insbesondere vielen in der SPD nicht leicht. Für Linke und Grüne hingegen stand sie in einer Reihe von Gesetzesänderungen, die sie als „großen gesellschaftlichen Fortschritt“ feierten.

Die Zeiten ändern sich. Jetzt scheint auch die SPD bereit, die „öffentliche Ordnung“ wieder zu beleben. Das bestätigt Innenpolitiker Martin Matz im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Viel wichtiger sei es aber, die mehr als 70-jährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchzuarbeiten und zu berücksichtigen. „Wir schreiben ‚öffentliche Ordnung‘ da rein“, sagt Matz. „Aber selbst damit hätten wir bei der Kalifats-Demo vor dem Oberverwaltungsgericht zerschellen können.“ Genauigkeit sei wichtiger als markige Worte.

Berliner-zeitung

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